Himmel und Hölle oder Die göttliche Gerechtigkeit

Allan Kardec

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Max

der Bettler

In einem bayrischen Dorf starb um das Jahr 1850 ein beinahe hundertjähriger Greis, bekannt unter dem Namen: Vater Max. Niemand kannte recht seine Herkunft, denn er hatte keine Angehörigen. Seit fast einem halben Jahrhundert hatte er, niedergebeugt von Schwäche, die ihn außerstande setzte, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, keine anderen Hilfsquellen als die öffentliche Wohltätigkeit, was er sich nicht anmerken ließ, indem er zu den Gutshöfen und Schlössern ging, um dort Kalender und Kleinigkeiten zu verkaufen. Man hatte ihm den Spottnamen "Graf Max" gegeben, und die Kinder nannten ihn immer nur den Herrn Grafen, worüber er lächelte, ohne es übelzunehmen. Woher diese Bezeichnung? Niemand hätte es zu sagen gewusst, sie war üblich geworden. Vielleicht lag es an seinen Gesichtszügen und seinem Benehmen, deren Vornehmheit einen Gegensatz zu seinen Lumpen bildete! Mehrere Jahre nach seinem Tod erschien er im Traum der Tochter des Eigentümers eines der Schlösser, in dessen Pferdestall er Gastfreundschaft fand, denn er hatte keine eigene Unterkunft. Er sprach zu ihr: "Ich danke Ihnen dafür, dass Sie in Ihren Gebeten des alten Max gedacht haben, denn die sind vom Herrn gehört worden. Sie wünschen zu wissen, wer ich bin, Sie mitleidige Seele, die für den unglücklichen Bettler Mitleid hatten! Ich will Sie zufriedenstellen. Das wird für alle eine große Belehrung sein."

Er gab ihr dann ungefähr den folgenden Bericht:

"Es ist ungefähr eineinhalb Jahrhunderte her, da war ich in dieser Gegend ein reicher und mächtiger Herr, aber eitel, hochmütig und vernarrt in meinen Adel. Mein unermessliches Vermögen hat stets nur meinen Vergnügungen gedient und es reichte für diese kaum aus, denn ich war ein Spieler, ein Lüstling und verbrachte mein Leben in schwelgerischen Gelagen. Meine Lehensleute (Pächter), von denen ich glaubte, dass sie zu meinem Nutzen geschaffen sind, wie die Tiere der Gutshöfe, wurden ausgebeutet und misshandelt, um für meine Verschwendungen aufzukommen. Ich blieb taub für ihre Klagen, wie für die aller Unglücklichen, und meiner Meinung nach mussten sie sich zu sehr geehrt fühlen, meinen Launen zu dienen. Ich starb jung, erschöpft durch die Ausschweifungen, aber ohne irgendein wahres Unglück erlitten zu haben. Im Gegenteil, alles schien mir so zuzulächeln, dass ich in den Augen aller einer der Glücklichen der Erde war. Mein Rang brachte mir ein kostspieliges Begräbnis ein. Die Lebemänner betrauerten in mir den prunkliebenden Herrn, aber es wurde nicht eine Träne über meinem Grab vergossen, nicht ein Herzensgebet für mich zu Gott gerichtet, und mein Andenken wurde von allen verwünscht, deren Elend durch mich vergrößert worden war. Ach, wie schrecklich ist es, den Fluch derer zu erfahren, die man unglücklich gemacht hat! Dieser hat lange Jahre hindurch, die mir eine Ewigkeit schienen, in meinen Ohren gehallt. Und beim Tod von jedem meiner Opfer war es eine neue drohende oder höhnende Gestalt, die sich vor mir aufrichtete und mich ohne Nachlassen verfolgte, ohne dass ich eine dunkle Ecke zu finden vermochte, um mich ihrem Anblick zu entziehen! Nicht ein freundlicher Blick! Meine ehemaligen Kumpane, unglücklich wie ich, flohen vor mir und schienen mir mit Verachtung zu sagen: "Unsere Vergnügungen bezahlen kannst du nicht mehr!" Oh, wie teuer hätte ich damals einen Augenblick der Ruhe, ein Glas Wasser erkauft, um den brennenden Durst zu löschen, der mich verzehrte! Aber ich besaß nichts mehr, und alles Gold, das ich mit vollen Händen auf Erden ausgestreut hatte, hatte nicht einen einzigen Segen gestiftet, nicht einen einzigen, verstehen Sie, mein Kind?

EndIich, niedergedrückt von Müdigkeit, erschöpft gleich einem ermüdeten Reisenden, der das Ende seines Weges nicht sieht, rief ich aus: "Mein Gott, erbarme dich meiner! Wann wird diese schreckliche Lage endlich ein Ende haben?" Da sprach eine Stimme, die erste, die ich vernahm, seitdem ich die Erde verlassen hatte, zu mir: "Sobald du es willst." “Was muss ich tun, großer Gott?" erwiderte ich: "Sag es mir! Ich unterwerfe mich allem!" "Du musst bereuen", klang es, "dich demütigen vor denen, die du selbst gedemütigt hast, sie bitten, für dich einzutreten, denn das Gebet des Beleidigten, der vergibt, ist dem Herrn allezeit angenehm." Ich demütigte mich. Ich bat meine Lehensleute, meine Diener, die dort vor meinen Augen waren, und ihre immer wohlwollender werdenden Gesichter verschwanden endlich. Das war, als ob für mich ein neues Leben beginnt. An die Stelle der Verzweiflung trat die Hoffnung, und ich dankte Gott mit allen Kräften meiner Seele. Darauf sprach die Stimme zu mir: "Fürst!" und ich antwortete: “Hier gibt es keinen anderen Fürsten als den allmächtigen Gott, der die Hochmütigen demütigt. Vergib mir, oh Herr, denn ich habe gesündigt! Mache aus mir einen Diener meiner Diener, wenn's Dir gefällt!"

Einige Jahre später wurde ich wiedergeboren, aber diesmal in einer Familie armer Dorfbewohner. Meine Eltern starben, als ich noch ein Kind war, und ich blieb auf der Welt hilflos allein. Ich verdiente meinen Lebensunterhalt so gut ich konnte, bald als Tagelöhner, bald als Gutsknecht, aber immer auf rechtschaffene Weise, denn diesmal glaubte ich an Gott. Als ich vierzig Jahre alt war, lähmte mich eine Krankheit in allen Gliedern, und ich musste mehr als fünfzig Jahre auf genau den gleichen Ländereien betteln gehen, die ich besessen hatte und wo man mir mit bitterem Spott den Beinamen "der Graf" gab. Ich war oft überglücklich, wenn ich im Pferdestall des Schlosses, das mir gehört hatte, ein Obdach finden konnte. In meinem Schlaf gefiel es mir, durch dieses Schloss zu wandern, wo ich als Tyrann geherrscht hatte. Wie oft habe ich mich da in meinen Träumen wieder gesehen, mitten in meinem ehemaligen Glück! Diese Visionen ließen mir beim Erwachen ein unbeschreibliches Gefühl von Bitterkeit und Leid zurück. Aber nie kam eine Klage aus meinem Mund, und wenn es Gott gefallen hat, mich wieder zu sich zu rufen, so habe ich ihn dafür gepriesen, dass er mir den Mut gegeben hatte, mich ohne Murren dieser langen und schmerzlichen Prüfung zu unterziehen, für die ich nun den Lohn empfange. Und Sie, meine Tochter, ich segne Sie, dass Sie für mich gebetet haben!"

Wir empfehlen diese Begebenheit zur Erwähnung für diejenigen, die behaupten, die Menschen würden keine Grenzen mehr kennen, wenn sie nicht vor ihren Augen das Schreckgespenst der ewigen Strafen hätten. Und wir fragen, ob die Aussicht auf eine Strafe, wie die von Vater Max, weniger dazu geeignet ist, sich auf der Bahn des Bösen aufzuhalten als jene auf endlose Qualen, an die man nicht mehr glaubt.